Gudrun Kugler, Denis Borel (Hg.): Entdeckung der Freundschaft. Von Philia bis Facebook, Freiburg (Herder Verlag) 2010, 223 Seiten

„Vos autem dixi amicos“ (Joh 15,15) ist der Wahlspruch des bekannten Wiener Erzbischofs und (besonders durch seine christologischen Arbeiten) profilierten Theologen Kardinal Christoph Schönborn, der am 22. Januar 2010 seinen 65. Geburtstag begehen konnte. Zu diesem Anlass erhielt er nicht nur von wissenschaftlichen Kollegen eine umfangreiche akademische Festschrift („Christus – Gottes schöpferisches Wort“, Freiburg 2010), sondern auch von persönlichen Freunden und Mitarbeiter/innen des in Schloss Trumau/Niederösterreich ansässigen „Internationalen Theologischen Instituts“ (ITI) eine leicht lesbare und anregende Festgabe unter dem Thema „Entdeckung der Freundschaft“. Neben aktuellen Aufsätzen zur „Krise der Freundschaft in Zeiten des Web 2.0“ enthält der Band grundlegende Artikel zum abendländischen Verständnis von Freundschaft seit Aristoteles, zur Freundschaft als politischer Kategorie, zur geistlichen Freundschaft (etwa bei Gregor von Nazianz in seiner Beziehung zu Basilius von Caesarea, bei Aelred von Rievaulx und Charles de Foucauld, von dem ein Freundesbrief erstmals publiziert wird), zur Phänomenologie von Frauen- und Männerfreundschaften und zur „Freundschaftsfähigkeit“ von Priestern. Ein etymologischer Aufsatz geht der altenglischen Herkunft des Wortes „freond“ nach und weist die Nähe zu den Begriffen Freiheit, Freude und Fröhlichkeit nach (J. Avery-Zedlacher). Freundschaft bei und unter Künstlern in der Literatur (vor allem Thomas Mann und Joseph Roth), in der klassischen Wiener Musik und am Theater ist Thema weiterer Beiträge. Auch werden Zusammenhänge der Freundschaft zur Kreativität und zur Gestaltung Europas, zur Völkerfreundschaft, zur jüdischen und ostkirchlichen Tradition aufgezeigt. Kardinal Philippe Barbarin von Lyon beschließt den Band mit der Betrachtung „Ich nenne euch Freunde“. Freundschaft ist ein christliches Zentralwort. Sie kennt die Achtung und den Respekt vor der Eigenart des Anderen um seiner selbst willen. Sie ist mehr als bloße Gefolgschaft und mehr sogar als Jüngerschaft, über die auch Sektenführer oder totalitäre politische Bewegungen verfügen. Ihr Ziel ist Freude, Glück und Liebe. Jesus hat Freundschaft wie kein anderer vorgelebt, denn „es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben gibt für seine Freunde“ (Joh 15,13). Die Zukunft von Menschheit und Kirche wird sich daran entscheiden, ob sie zur gelebten (und gelegentlich erlittenen) Freundschaft fähig sein werden. Dazu liefert der Festband für den Wiener Kardinal solide Bausteine.

 

 

Elke Pahud de Mortanges: Unheilige Paare? Liebesgeschichten, die keine sein durften, München (Kösel) 2011, 272 Seiten

Anders als Werbung und Klappentext zunächst insinuieren – die Autorin kennt selbst die journalistische Maxime „sex sells“, die der Verlag wohl nicht ganz ignorieren will – dreht sich die Schilderung von acht ungewöhnlichen Paaren der Kirchen- und Theologiegeschichte nicht um „intime Einblicke“ oder um „das Leiden am Zölibat“. Elke Pahud de Mortanges, selbst verheiratet und habilitierte Theologin an der Universität Freiburg im Breisgau, bietet vielmehr nüchterne und präzise an den Quellen orientierte Portraits, die keinerlei Voyeurismus befriedigen, sondern spannend und einfühlsam der Lebensgeschichte der betroffenen Frauen und Männer des Glaubens nachgehen. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ – so heißt es schon in der Schöpfungsgeschichte der Genesis und so wird es immer in der Heils- und Kirchengeschichte zwar sowohl große Einzelne, aber auch „Doppelsendungen“ der einander zugeordneten Geschlechter geben. Diese können sich hilfreich ergänzen und anregen oder gegenseitig blockieren bis hin zum Verlust der kirchlichen Fruchtbarkeit und Glaubwürdigkeit. Der Stifter des Christentums selbst verdankt sich physisch und psychisch einer Frau, die im Heilsgeschehen durch ihr Jawort die erlösungsbedürftige Menschheit stellvertritt und von manchen daher „Miterlöserin“ genannt wird.

Diese biblischen Vorgaben (auch  das Verhältnis Jesu zu Maria Magdalena oder anderen Frauen) bleiben unausgesprochen im Hintergrund, wenn Pahud de Mortanges ihren Reigen ausführlich geschilderter „(un)heiliger Paare“ mit der bekannten „Historia Calamitatum“ des Aristotelikers Petrus Abaelard und der in den Ordensstand hineingezwungenen Heloise beginnt. Oft romantisch verklärt wurde die Beziehung des hl. Franz von Assisi zur hl. Klara von Assisi, die einfach die Oberin der Mädchen und Frauen war, die den franziskanischen Weg der Armut für sich wählten. Sehr praktisch orientiert ist das Leben des Paares Martin Luther und Katharina von Bora, eines Augustinermönches und einer Zisterziensernonne, das sich erst 1525 aufgrund einer „dritten Wahl“ bildete und Kirchengeschichte schrieb. Viel tiefer als die noch vorhandenen Aufzeichnungen hergeben war wohl die emotionale Nähe zwischen dem Genfer Bischof Franz von Sales und jungen Witwe Baronin Johanna Franziska von Chantal, die zu einer Ordensgründung führte und am Ende des Lebens zu einer immer größer werdenden Distanz beider aufgrund der kirchlichen Aufträge. In die deutsche Literaturgeschichte ein ging der Kontakt von Anna Katharina Emmerick (2004 selig gesprochen) und Clemens Brentano, dem Sekretär ihrer visionären Erfahrungen über das Leben Jesu. Eine Liebesbeziehung erstrebte Brentano aber eher mit der Konvertitin Luise Hensel, alle Verwicklungen werden minutiös geschildert. Schließlich widmet sich die Autorin noch den Biographien von drei sehr bekannten Theologen des 20. Jahrhunderts, deren Beziehungen zu den entsprechenden Frauen meist unter einem Tabu standen: Unter der Überschrift „Das strengste Urteil wider mein irdisches Leben“ geht es um die skandalöse „Ménage à trois“ zwischen Karl Barth, seiner Ehefrau Nelly und seiner theologischen Sekretärin Charlotte von Kirschbaum. „Zwei Hälften eines Ganzen“ bildet der gemeinsame „Auftrag“ des (später deswegen aus dem Jesuitenorden ausgetretenen) Hans Urs von Balthasar und der Basler Ärztin, Professorengattin und Mystikerin Adrienne von Speyr zur Gründung einer Laien-Johannesgemeinschaft. Den Abschluss bietet die vor allem von Hans Küng heftiger Kritik ausgesetzte Beziehung des Konzilstheologen Karl Rahner zur Schriftstellerin Luise Rinser, die unter dem Titel „Gratwanderung“ ihre Briefe an Rahner veröffentlichte und damit sich, ihn und einen weiteren ungenannten Ordensmann in ein Zwielicht stellte.

In allen geschilderten  Paaren spielt die spirituelle Orientierung an Gott eine Rolle, werden von der Autorin keine subjektiven Vermutungen in den Raum gestellt, gibt es keinen „genderismus“. Sie versucht, über die „theologische Hintertreppe“ der Komplexität der Protagonisten und ihrer Beziehungen gerecht zu werden und beendet jedes Kapitel mit ausführlichen Literaturangaben.  Im Schlusskapitel „Paare – Passionen – Parallelen“ wird versucht, ein vergleichendes Resümee zu ziehen. Obwohl Pahud de Mortanges ihr gut lesbares Buch „dem journalistisch-literarischen Genre verpflichtet weiß“ (258), ist es ihr durch ihr genaues Arbeiten auch gelungen, theologische, hagiographische und kirchengeschichtliche Akzente zu setzen.

Stanislaus Kluz, Die Musik – nicht ganz zerbrochen. Poesien und Betrachtungen, Immaculata Verlag Wien 2009, 219 Seiten, € 11,90 (A/D)

 

Dass Edith Stein auf ihren Vortragsreisen auch in Wien war, ist bekannt, ohne dass sie – anders als Erich Przywara – von einem engeren Verhältnis zur Stadt berichtet. Sie teilt Roman Ingarden ganz nüchtern und ohne Kommentar mit, dass sie im Frühjahr 1931 zwei Wochen dort war. Am 30. Mai 1931 hielt sie im großen Sitzungssaal des Wiener Landhauses auf dem katholischen Frauentag zum 700. Todestag der hl. Elisabeth von Thüringen den Vortrag „Elisabeth von Thüringen – Natur und Übernatur in der Formung einer Heiligengestalt“ (ESGA 19, 15-29) und blieb bis zum 13. Juni in der Stadt als Gast der Familie von Professor Rudolf Allers, bei dem schon Hans Urs von Balthasar zu Beginn der 1920er Jahr wohnte.

 

Weniger bekannt ist, dass seit Oktober 1993 in Wien ein besonderer Ort des Gedenkens und der Verehrung der Heiligen und Patronin Europas existiert. Die 1958 durch Ottokar Uhl geplante schlicht-moderne Studentenkapelle der „Katholischen Hochschulgemeinde Wien“ in der Ebendorferstraße 8 wurde auf Initiative des Studentenseelsorgers Stanislaus Kluz und seiner Studenten durch den damaligen Weihbischof und jetzigen Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn dem Patronat Edith Steins unterstellt. Inzwischen heißt das von den kunstsinnigen österreichischen Akademikerseelsorgern Karl Strobl und Otto Mauer geprägte Studentenheim mit Mensa und Versammlungsräumen „Edith-Stein-Haus“ und grüßt auf der Eingangstafel die Studenten der nahen Universität mit dem bekannten Zitat: „Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht“.

 

Wer aber verstehen will, wie es dazu kam, sei auf die nun zu seinem 95. Geburtstag am 3. November 2009 veröffentlichten Texte und Poesien des bei Olmütz geborenen und im neuen Polen aufgewachsenen Priesterdichters Stanislaus Kluz verwiesen. Kluz erfuhr den Krieg und die Verfolgung sowohl durch den Nazismus, als auch durch den sowjetischen Kommunismus. In den 1950er Jahren gehörte er in Krakau zum Kreis der Mitarbeiter von Jerzy Turowicz und seiner Zeitschrift „Tygodnik Powszechny“, in der auch Karol Wojtyla unter Pseudonym Gedichte veröffentlichte. Er prägte viele Priester in der Zeit der Unterdrückung und kannte viele Opfer des Totalitarismus, geriet in die Fänge des kommunistischen Geheimdienstes und hat 1964 Polen für immer (wie sein von ihm oft beschriebener Landsmann Joseph Conrad) verlassen. Dies wurde vom damaligen Krakauer Kardinal Wojtyla mit dem Wiener Kardinal Franz König auf dem II. Vatikanum abgesprochen und ermöglicht. König berief Kluz in die Wiener Hochschulseelsorge mit der nunmehrigen Edith-Stein-Kapelle, die ihm fortan Heimat wurde, in der er mit seinem Freund, dem späteren Papst Johannes Paul II., bei seinen Wien-Besuchen mehrmals Eucharistie feierte. Auch führende polnische Laien wie Wanda und Andrzej Poltawski, Tadeusz Mazowiecki, der erste frei gewählte Ministerpräsident Polens 1989, und Wladyslaw Bartoszewski, der spätere Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels und polnische Außenminister, trafen sich in Wien mit Kluz in „seiner“ Kapelle. Immer wieder kam die italienische Journalistin Barbara Spinelli, die das zu wenig beachtete kritische Werk „Der Gebrauch der Erinnerung. Europa und das Ende des Totalitarismus“ (München 2002) veröffentlichte. Ganz besonders und von geradezu mystischer Tiefe war jedoch seine Beziehung zu Papst Johannes Paul II., die sich in vielen der nun unter der (gewandelten) Rose Ausländer-Zeile „Die Musik – nicht ganz zerbrochen“ erstmals gesammelt veröffentlichten Gedichte ausdrückt. Der Mann in Rom war oft deren erster Empfänger und Leser, der immer wieder handschriftlich antwortete.

 

Auch in späteren Jahren bildeten sich um „Pater“ Kluz Freundeskreise im Geiste Edith Steins, im Bewusstsein des Holocausts als „Tod Europas“ und immer (auch in Liedern) im Blick auf Israel/Jerusalem, wo im Hl. Jahr 2000 an der Klagemauer die 1978 mit der von Kardinal König gestützten Wahl eines Polen zum römischen Papst begonnene Wiederauferstehung Europas besiegelt wurde. Dazu gehörten neben vielen anderen, die oft auch einer geistlichen Berufung in einen Orden folgten, namentlich der Anselm-Forscher und Publizist Helmut Kohlenberger, Monika Stadlbauer, die Bearbeiterin des Poesien-Bandes, Andreas Schätzle, der Leiter des österreichischen „Radio Maria“, oder der Arzt und („spätberufene“) Priester Ignaz Hochholzer. Sie alle sind Anlass für konkrete Lyrik, die in der polnischen Tradition ihre Heimat hat.

 

Die Poesien von Stanislaus Kluz, der beide verheerenden Totalitarismen des 20. Jahrhunderts erfahren hat und deshalb (wie Ionesco) „1968“ nur als sekundäres Geschehen empfinden konnte, verbinden mystische Spiritualität der „Liebe“ mit prophetischer Weisung und geschichtstheologischem Denken. Sie enthalten auch Impulse für ein „Priesterjahr“ und sprechen vom „neuen Priester“. Die Wiener Edith-Stein-Kapelle Ottokar Uhls und die Wunden des Jahrhunderts kommen immer wieder zur Sprache. Stellvertretend sei das Gedicht „Heilige Edith Stein“ wiedergegeben:

„An ihrer Gestalt erfüllt sich/ der Wunsch des Herrn:/ „Ut unum sint“./ Und alles wird neu:/ Johannes Paul II. wählt sie/ zur Schutzpatronin Europas,/ Kardinal Schönborn gibt/ der Universitätskapelle ihren Namen./ Sie bleibt und wird bleiben/ so wie sie ist./ Europa wird zu ihr pilgern/ und um Vergebung flehen ...“

 

Das Buch ist außer im Buchhandel zu beziehen bei: Immaculata Verlag, Große Sperlgasse 33/EG, A-1020 Wien (www.immaculata.at).