Wolfgang Treitler, Auf Wanderschaft. Betrachtungen zum biblischen Glauben, Kirchstetten (Achínoam Verlag) ²2005, 286 Seiten

 

Das Buch des Wiener Fundamentaltheologen (Jg. 1961) bietet eine „Einweisung“ nicht nur in das Christentum, sondern in die Gesamtatmosphäre biblischen Glaubens. Dabei ist die stete Verbindung mit dem Judentum erkenntnisleitend. Der Verfasser bindet sich nicht an die gängigen theologischen Sprachmuster, sondern formuliert souverän eigene Erkundungen. Frühere vergleichende Monographien (noch unter dem Namen Klaghofer-Treitler) zu jüdischen Autoren des 20. Jahrhunderts (u.a. Franz Kafka, Franz Werfel, Elias Canetti, Jean Améry und Elie Wiesel) fließen in die biblischen Betrachtungen mit ein und bezeugen die existentielle Nähe und das Einfühlungsvermögen des Verfassers in jüdisches Empfinden. Sowohl die „zeitgenössische Leere“ in der antikontemplativen Verabsolutierung der Arbeit und des Fortschrittsdogmas, als auch die Konzentration auf Berufswelt, Naturwissenschaft und Technologie sind ihm präsent und werden unter den biblischen Fragen des „Wer ist wie Gott?“ (7-53) und „Adam, wo bist du?“ (54-103) behandelt. Hegels „Selbstvergottung“ (15) wird schonungslos beim Namen genannt: „Hegel kannte zwar noch die Andacht, doch ist sie ihm untergeordnetes Bewusstsein geblieben. Es ist dazu da, aufgeklärt und durchgedacht zu werden. (...) Unter Hegels Sonne gibt es nichts wirklich Neues mehr“ (17). Ergänzend zu einem „biblischen Fächer“ (18-25) und „literarischen Spuren“ (25-38) werden philosophische Ablagerungen (Aristoteles, Descartes, Kant) umschritten und theologische Linien (Rahners Subjekt, Balthasars Symphonie) gezogen, die Treitler mit den zeitgenössischen Um- und Zusammenbrüchen konfrontiert. Zu Inhalt und Form der Theologie Hans Urs von Balthasars (1905-1988) veröffentlichte der Autor 1992 die international herausragende Dissertation „Gotteswort im Menschenwort“, die in überzeugender Weise die Vision des großen Schweizers (dessen Theologie des Judentums und Israels immer noch der Untersuchung harrt) methodisch darzustellen vermochte. Somit ist der Horizont der Moderne aufgespannt, um dann unter ihm die biblischen Wege Israels (104-183) und „Wegmarken Jesu“ (184-286) nachzugehen. Weitere bohrende Anfragen werden gestellt: Ist der bisherige Mensch inzwischen ein „altertümliches Relikt“ (86)? Kann „Adam“ unter dem Zeichen der Apokalypse und des Holocaust noch als Ebenbild Gottes gesehen werden (95)? Treitler stellt die Fragen mehr in den Raum als ihnen eine systematische Antwort zu geben. In Israels Wandlungen waren aber immer schon alle Zerrissenheiten mit enthalten. So können narrativ die biblischen Geschichtswege Israels als Wanderschaft unter dem Zeichen Gottes geschildert werden. Das Kommen und Auftreten Jesu schließt sich daran an und stellt keinen Geschichtsbruch dar: „Jesus wächst aus Israel hervor und wird ihm bis zu seinem letzten Atemzug am Kreuz verbunden bleiben“ (184). Und Treitler fügt den unmissverständlichen Satz hinzu: „Jesus außerhalb Israels zu suchen, heißt ihn nie finden“ (ebd.). So wird die Herkunft Jesu, seine Verwandtschaft mit dem Täufer Johannes und sein kurzer religiös-politischer Prozess in für jüdische Leser sensibler und weiterführender Weise nacherzählt. Nach dem zweifelsfreien Totsein Jesu ist der Ostermorgen das Aufleuchten eines „biblischen Lichtes“ (260) in den „Dunkelheiten der Apostel“ (262). Dem folgt bei Matthäus ein „Triumph der Endzeit“ (264), bei Johannes mit Blick auf Maria Magdalena die „Geschichte einer großen Liebe“ (266). Dabei bildet für Treitler die Auferweckung Jesu ein „zentrales Ereignis der Hoffnungsgeschichte Israels“ (271), und der auferweckte Jesus wird zur „Hoffnungsgestalt aller Menschen“ durch den „Einbezug aller Völker in die Verheißungsgeschichte Israels“ (277). Für die frühen Jesusgemeinden ist das Bekenntnis zur Auferstehung Jesu ein Kommentar zu Israels Glaube und Hoffnung. Keineswegs ist Auferweckung nach einem alten Vorurteil „Rache an Israel“ (279). Nach den Äußerungen Papst Johannes Pauls II. im Jahr 2000 wird katholisches Christentum Israel nie hinter sich bringen und in sich absorbieren, sondern „sich eher als bezeugende Gestalt oder bezeugender Flügel Israels in und unter den Völkern erfassen können, bleibend auf Israel bezogen, mit Israel in die Welt ziehend, um schließlich mit der Welt nach Israel heimzukehren“ (278). Ein „Ende der Wanderschaft“ (281) ist nicht verheißen und ist bei aller verständlichen Sehnsucht nach wahrer Ruhe und Geborgenheit eine „Versuchung in den biblischen Religionen“ (ebd.). Denn Wanderschaft ist trotz allem nicht zielloses Umherirren, sondern Wanderschaft als Weg vor Israels Gott, dem stets das jüdisch-christliche Grundbekenntnis des Šma Israel gilt (Dtn 6,4ff; Mk 12,29). In ihm ist die Erinnerung der wichtigsten Wanderschaft, des Exodus aus Ägypten, mit aufbewahrt. Diese lässt sich auch fokussieren auf das Pascha Jesu vom Abendmahlssaal nach Golgotha bis zum Ostermorgen. Die Holocaust-Erfahrung kann dann mit der Höllenerfahrung des einzelnen Gottesknechtes zusammengebunden werden, wie es der Vorschlag Balthasars war. Jenseits distanziert-akademischer Reflexion nimmt Treitlers gut verständliches Buch die Leser und Leserinnen an der Hand, um ihnen die Faszination des biblischen Glaubens, der biblischen Personen und des Panoramas zu zeigen, in dem sie gelebt haben. Damit ist ohne Polemik auch ein lebendiges Gegenbild zum Islam entworfen. Der jüdische Dichter Franz Werfel, den seine Flucht vor den Nationalsozialisten nach Lourdes führte und der mit dem Roman „Lied der Bernadette“ ein Gelübde erfüllte, hat das stete Unterwegssein biblischer Religion in seinen „Theologumena“ daher einmal so ausgedrückt: „Dem ewig Unwandelbarsten kann nur das ewig Wandelbarste hoffen zu begegnen. Darum ist jede erstarrte Religion wie eine Blasphemie.“ Treitlers „Betrachtungen zum biblischen Glauben“ tragen diesen Untertitel zu recht. So wie die Verfasser der biblischen Schriften selbst sprachmächtige Dichter waren, so sollten es auch ihre Ausleger (und Übersetzer: Luther, Guardini, Karrer, Buber/Rosenzweig, Berger/Nord) sein. Die Vertrautheit mit Literatur (wie sie unter Theologen besonders Karl-Josef Kuschels Publikationen auszeichnet) ist eine Voraussetzung lebendigen Bibel- und Glaubensverständnisses, aber auch einer fruchtbaren jüdisch-christlichen Begegnung und Ergänzung. Wolfgang Treitler hat die Richtung gewiesen, in der sich solches vertiefen lässt.

 

(aus: "Freiburger Rundbrief - Neue Folge" 4/2007) 

 

 

Peter Fiedler

Studien zur biblischen Grundlegung des christlich-jüdischen Verhältnisses

Stuttgarter Biblische Aufsatzbände 35. Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2005. 291 Seiten.

Neben Franz Mußner hat sich kaum ein katholischer Neutestamentler so häufig mit der christlich-jüdischen Thematik befaßt wie der Freiburger Exeget Peter Fiedler. Der Schüler des Altmeisters Anton Vögtle wurde bekannt durch seine nicht unumstrittene Arbeit „Jesus und die Sünder“ (Frankfurt/Bern 1976) und die dort vertretene These, dass bei Jesus nicht ein stellvertretender Sühnetod im Zentrum steht, sondern die Verkündigung des bedingungslos vergebenden Vaters. Das Wirken Jesu ist nicht soteriologisch zu verengen auf damit verbundene Anklagen und „Wiedergutmachungen“, sondern bezeugt Gottes Versöhnungsangebot im Hereinbrechen seiner Herrschaft. So heißt es auch im Bezug zum Judentum in einem Text dieser Aufsatzsammlung aus zwei Jahrzehnten konzentrierter exegetischer Forschung: „Jedenfalls kann es nicht Sache christlicher Theologen sein, die aus bestimmten Sitzen im Leben der Evangelisten und ihrer Traditionen herkommenden definitiv klingenden Gerichtsworte gegen zeitgenössische jüdische Widersacher als jesuanisch zu behaupten, zu verallgemeinern und zu verabsolutieren. Israel ist nicht an Jesus gescheitert; dem jüdischen Volk bewahrt Gott vielmehr ‚den Bund und die Gnade‘. Das ist für die Vergebungsbotschaft Jesu ebenso wie für die Rechtfertigungsbotschaft des Paulus die unverbrüchliche Grundlage“ (87). Damit ist das jüdische Volk — und mit ihm die Menschheit — immer von Gottes Erbarmen und Vergebung umfangen.  Die Aufsatzsammlung beginnt daher auch mit einer Untersuchung „Zum theologischen Gebrauch von ‚Bund‘ (berit) in der Hebräischen Bibel“ (1-21), die zuerst in den vom Freiburger Religionspädagogen und Newman-Forscher Günter Biemer initiierten „Freiburger Leitlinien zum Lernprozeß Christen Juden“ (1981) erschienen ist. Damals wurde ein Tabu gebrochen, mit dem sich die theologische Wissenschaft manchmal schwerer tat als das kirchliche Lehramt. Aufsätze über „Israels Hoffnung“ (88-102), „Die Tora bei Jesus und in der Jesusüberlieferung“ (103-119) und „Das Israel Gottes — Kirche oder jüdisches Volk?“ (120-144) vertiefen die Argumentation. Auch paulinische Kampfesäußerungen (etwa im Galaterbrief) werden so im richtigen Kontext gedeutet, ohne dass es einer „political correctness“ wie der von Goldhagen geforderten Eliminierung von Bibeltexten bedurft hätte (145-176). Behandelt wird auch die Rolle der „Pharisäer“ im Matthäusevangelium (209-231) und die Frage nach der Verantwortung für den Tod Jesu (232-255). Den Schluß bildet der jüngste Aufsatz über „Kultkritik im Neuen Testament?“ (256-291), der 2002 in der Festschrift für den Liturgiker Angelus Häußling OSB erschienen ist und die Folgerung festhält: „Bei aller Respektierung der jüdischen Eigenständigkeit und des christologischen ‚Neuansatzes‘ muß sich [...] der Gottesdienst der Kirche aus den (nichtjüdischen) Völkern gemäß den Aussagen in den Kapiteln 9, 11 und 15 des Römerbriefs unaufhebbar auf den jüdischen Gottesdienst hingeordnet sehen, wenn er Gottesdienst des Gottes Israels sein und bleiben will“ (291). Schwerpunkt der Themen ist die Erforschung der Jesusüberlieferung sowie der Verkündigung des Matthäus und des Paulus. Die dichten Texte Fiedlers sind eine christliche Mahnung entsprechend dem unwiderruflichen johanneischen Satz: „Wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden“ (Joh 4,22). Mögen vor allem Religionspädagogen und Prediger sich Fiedlers Anregungen gegenüber empfänglich zeigen.

Stefan Hartmann, Oberhaid


Jahrgang 13/2006 Seite 54